ADHS im Alter

Das Thema ist bisher kaum wissenschaftlich erforscht. Natürlich besteht ADHS auch im höheren Lebensalter fort. ADHS-Betroffene schaffen es bei einer guten Begabung und glücklichen Lebensumständen oft bis zum Ende des mittleren Lebensalters ihre ADHS-Symptome, wie Aufmerksamkeitsstörung, Desorganisation und Vergesslichkeit mit viel Energie und Selbstkontrolle im Griff zu behalten. Mit zunehmendem Altem und schwindenden Kräften zeigt sich dann aber zunehmend eine Erschöpfungssymptomatik, Vergesslichkeit und häufig auch depressive Symptome. Die bisherigen Kompensationsstrategien sind dann erschöpft.

Besonders beim Eintritt ins Rentenalter kann dies noch  deutlicher werden. Jetzt sind berufliche Strukturen, Zielvorgaben und Arbeitsvorgaben weggefallen und umso deutlicher wird das desorganisierte Handeln

Auch die soziale Anerkennung, über die sich viele ADHS -Betroffene definieren, wird durch die Berentung geringer. Nichts ödet einen hyperaktiven ADHS-ler mehr an als Monotonie und Langeweile.und/oder die Prokrastination (Aufschieberitis).  Die Anregungen, die Herausforderung und auch die Action, die das Leben von ADHS-lern sehr bereichern kann, werden weniger. Je eintöniger und unstrukturierter das Leben, desto mehr treten Motivationsstörungen, Vergesslichkeit und Konzentrationsstörungen auf.

Körperliche Einschränkungen der Beweglichkeit können ADHS-Symptome verschlimmern. Viele ADHS-ler bleiben lange kompensiert, weil sie Sport treiben und sie sich regelmäßig auspowern. Das macht sie sozialverträglich. Je weniger Bewegung für sie möglich ist, desto größer kann die Unzufriedenheit und die Impulsivität werden.

Oft machen ADHS-Betroffene die Erfahrung, dass Gleichaltrige andere oder weniger Interessen haben als sie. Sie fühlen sich fitter, aktiver und flexibler als ihre Gleichaltrigen.

Wie häufig ADHS im Alter vorkommt, ist bisher nicht abschließend geklärt. Die meisten Studien weisen 1,5 bis 3 % aus der Normalbevölkerung aus.

Mehrere Studien zeigen, dass die ADHS Symptome Unaufmerksamkeit und Impulsivität sich im Alter nicht ändern.

Es gibt keine spezifischen Fragebögen für ältere ADHS-Patienten. Oft ist es auch schwierig Auskünfte darüber zu bekommen, wie ausgeprägt die Symptome im Kindesalter waren. ADHS und leichte Demenz voneinander abzugrenzen ist oft nicht einfach.

In Studien zeigt sich, dass ADHS Patienten im Alter weniger Selbstwertgefühl, mehr soziale Probleme, mehr Ängste und mehr Depressionen haben. Die Hälfte haben psychische Erkrankungen, auch Suchterkrankungen, Essstörungen und Somatisierungsstörungen. Körperliche Erkrankungen wie Fibromyalgie, Gelenksentzündungen, chronische Schmerzen und eine Unterfunktion der Schilddrüse sind häufiger. Ältere ADHS-Patienten sind häufiger Singles, haben eine erhöhte Scheidungsrate und eine höhere Rate von Arbeitslosigkeit. Sie geben schlechtere Lebensqualität und geringere Zufriedenheit an.

Gerade auch im Alter kann eine medikamentöse Behandlung sehr hilfreich sein. Sie muss allerdings die Begleiterkrankungen mitberücksichtigen. Die Medikation kann schwierig sein, weil sie oft mit anderen Medikamenten kombiniert werden muss, die Verträglichkeit der Medikation mit anderen Medikamenten nuss unbedingt beachtet werden. Insbesondere ist auf Herzerkrankungen zu achten. Insgesamt geben ältere ADHS-Patienten jedoch eine deutliche Verbesserung ihrer Symptome bei medikamentöser Behandlung an.

 

Fallbeispiele:

Frau, 76 Jahre.

Sie kommt aus der Psychiatrie mit Diagnose schwere Depression. Sie war dort zwei Monate stationär. Mehrere Behandlungsversuche mit Antidepressiva brachten keinen Erfolg. Sie ist weiterhin sehr depressiv, impulsiv und sie hat immer noch Selbstmordgedanken. Sie erlebe sich als Zumutung für sich und andere. Die Patientin beschreibt sich als dünnhäutig, unruhig, getrieben, nervös. Sie habe ständig Stimmungsschwankungen und alles gehe ihr unter die Haut. Sie könne das Leben nicht mehr ertragen, sich selbst schon gar nicht mehr. Früher sei sie eine sehr aktive Frau gewesen. Als Kind sei sie vorlaut und mutig gewesen und sie habe ihrer Mutter als älteste von 5 Geschwistern immer zur Seite gestanden. Trotz finanziell begrenzter Möglichkeiten in der Nachkriegszeit beschreibt sie ihre Kindheit als glücklich mit sehr guter Beziehung zu ihren Eltern, die sie immer unterstützt hätten. In der Schule sei sie oft angeeckt, weil sie nicht habe still sitzen können. Ihre Intelligenz sei aber immer aufgefallen. Sie habe dann mit 21 Jahren geheiratet und habe bis heute eine sehr glückliche und erfüllte Beziehung mit ihrem Mann. Aus der Ehe stammen 2 Kinder, mit denen sie ein sehr gutes Verhältnis habe. Die Tochter wohnt mit ihrer Familie mit im Haus. Sie berichtet weiter, dass sie einen großem Gerechtigkeitssinn habe. Auch sei sie als erste Frau schon als 30-Jährige in den Gemeinderat gewählt worden, wo sie sich sehr engagiert habe.

Mit 14 Jahren habe sie angefangen zu rauchen. Das habe sie bis zu ihrem 74. Lebens- jahr gemacht,  und zwar 2 Schachteln am Tag. Dann habe sie einen Herzinfarkt erlitten und seitdem habe sie aufhören müssen zu rauchen. Danach hätten die Depressionen angefangen. Sie habe erst an einen Nikotinentzug gedacht, aber selbst nach 18 Monaten gehe es ihr nicht besser.

Was hat sich verändert, nachdem sie aufgehört hat:
Früher sei sie allseits beliebt und engagiert gewesen. Sie hasse sich jetzt selbst.
Ihr Mann sage auch, dass sie unerträglich sei. Sie habe seither massive Stimmungsschwankungen. Auch sei sie impulsiv, innerlich sehr unruhig und oft weinerlich.  Ihre Unausgeglichenheit belaste sie und es rege sie einfach alles auf. Sie fühle sich ständig gekränkt und alles sei für sie eine Katastrophe.

Behandlung:
Die Patientin wurde medikamentös eingestellt mit einer niedrigen Dosierung. Sie hat außerdem sehr engagiert einen ADHS-Trainingskurs gemacht und davon sehr profitiert. „Jetzt kann ich mich selbst viel besser verstehen. Sie habe jetzt wieder mehr Gefühlskontrolle, habe wieder ihr dickeres Fell.

In den folgenden Jahren war sie erstaunlich stabil. So hat sie ihren Mann 7 Jahre aufopferungsvoll gepflegt. Sie ist nach wie vor mit 87 Jahren sozial stark engagiert. Wir freuen uns immer, wenn sie kommt. Sie wirkt 20 Jahre jünger und profitiert immer noch von ihr starken Vitalität. „ADHS gibt mir die Power!

Ohne Medikation will sie nicht mehr sein.

 

Fallbeispiel 2

79-jähriger Patient, früher in hoher Position .Er sei immer auf Achse gewesen, sehr sportlich und sehr leistungsfähig. Seine Frau fand ihn schon immer sehr anstrengend, aber er sei ja viel unterwegs gewesen. Er wurde stets für seine Energie und seine vielen neuen Ideen bewundert.

In der Schule war er einmal sitzen geblieben, er sei faul und unmotiviert gewesen. Er sei dann Leistungssportler geworden. Da habe er seine Disziplin und sein Durchhaltevermögen gelernt. Im Studium habe er große Probleme gehabt, weil er sich nicht habe konzentrieren können. Dann sei er aber in der Firma schnell aufgestiegen.  Schon immer sei er getrieben, nervös und unruhig gewesen.

Seine Frau berichtet, dass sie ihm alles hinterher habe räumen müssen. Er hatte jedoch  eine gute Sekretärin, die ihn immer an Wichtiges erinnert habe und die gut organisieren konnte.

Jetzige Probleme:

Auch nach der Berentung habe er noch lange als Berater gearbeitet, erst vor 2 Jahren aufgehört. Jetzt sitze er zuhause und könne nur wenig mit sich anfangen. Seine Frau will sich jetzt nach 50 Jahren Ehe scheiden lassen. Sie halte seine Stimmungsschwankungen und seine Gefühlsausbrüche nicht mehr aus. Sie könne sein Chaos und seine Unruhe nicht mehr ertragen. Er selbst fühlt sich häufig erschöpft, unmotiviert und leide darunter, nicht mehr gebraucht zu werden. Ist seit langem in psychiatrischer Behandlung. Dort wurde die Diagnose Depression und Narkolepsie gestellt.

Behandlung:

Der Patient war sehr verzweifelt, weil er auch seine Frau nicht verlieren wollte. Er selbst sah keinen Ansatz etwas an seinem Verhalten ändern zu können. Es erfolgte eine medikamentöse Einstellung, niedrig dosiert. Darunter zeigte sich eine deutliche Verbesserung. Der Patient fühlt sich jetzt entspannt und ausgeglichen. Er habe mehr Motivation und Antrieb. Seine Frau berichtet, dass er ruhiger sei und seine Gefühlskontrolle deutlich besser geworden sei. Beide können wieder schön die Zeit miteinander verbringen und ihren wohlverdienten Lebensabend genießen.